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Von Januar bis März haben deutsche Unternehmen 77 Gewinn- und Umsatzwarnungen ausgegeben. Das ist der höchste je in einem Quartal gemessene Wert und entspricht einer Verdopplung gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Mehrheit traut sich nicht mal mehr eine Prognose zu. Überdies alarmierend: Bereits 2019 hatte die Zahl der Gewinnwarnungen Rekordniveau erreicht.

Wo einmal Pläne waren, macht sich inzwischen immer mehr Ratlosigkeit breit. Und wo einmal zaghafte Hoffnung aufblitzte, ist inzwischen ein neues Stimmungstief erreicht. Die Berichtsaison hätte bislang schlimmer ausgehen können, doch was den Blick nach vorn anbelangt, zeichnet sich umso Düstereres ab. Zunächst stürzte der ifo-Geschäftsklimaindex im April von bereits niedrigen 85,9 Punkten im März auf 74,3 Punkte ab, was nicht nur dem niedrigsten jemals gemessenen Wert entspricht. Es hat in der Geschichte des Index auch noch nie einen stärkeren Rückgang gegeben.

Nun bestätigt eine Ernst & Young (EY)-Studie zur Anzahl der Gewinn- und Umsatzwarnungen deutscher Unternehmen das mehr als eingetrübte Stimmungsbild. Im ersten Quartal haben sich diese nicht nur verdoppelt, was angesichts der Krise nicht per se überraschend gewesen wäre. Mit 77 Warnungen wurde auf Quartalsbasis ein neuer Rekordwert erreicht. „Die Corona-Krise führt weltweit zu massiven Einschränkungen des Wirtschaftslebens und zu nie dagewesenen Umsatzausfällen in fast allen größeren Märkten“, kommentierte Hubert Barth, Vorsitzender der Geschäftsführung von EY Deutschland, die Studienergebnisse. Spätestens ab März dieses Jahres seien die Prognosen vieler Unternehmen daher Makulatur geworden.

Besonders betroffen waren Automobilunternehmen: Sieben der zwölf börsennotierten Hersteller und Zulieferer mussten ihren Ausblick nach unten korrigieren.  58 Prozent der börsennotierten Autokonzerne bzw. -zulieferer mussten ihre Prognosen im ersten Quartal nach unten korrigieren. Kein einziges Unternehmen kündigte das Übertreffen der ursprünglichen Prognose an. In der Konsumgüterbranche waren 44 Prozent der Unternehmen betroffen, in der Medienbranche 38 Prozent. Keine Warnungen gab es hingegen von Telekommunikationsunternehmen und Energieversorgern. „Der Automobilsektor war früher als andere Sektoren betroffen. Andere Branchen wie Konsumgüterproduzenten und der Einzelhandel spürten die Auswirkungen später, aber häufig nicht weniger massiv“, sagt Milan Knarse, Partner bei EY in der Restrukturierungsberatung und Mitglied im Reshaping Results Leadership Team.

„Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten nur wenige positive Überraschungen sehen“

Besonders bemerkenswert: Erstmals seit Beginn der Erhebung im Jahr 2011 sieht sich die Mehrheit der Unternehmen außerstande, eine neue Prognose abzugeben. „Bei 45 der 77 Gewinn- oder Umsatzwarnungen im ersten Quartal wurde die überholte Prognose nicht durch eine neue Prognose ersetzt. Damit fehlt Anlegern nun eine wichtige Information hinsichtlich der Erwartung, wie sich das Geschäft des Unternehmens voraussichtlich entwickeln wird“, sagte Barth.

In 43 Fällen haben Unternehmen im ersten Quartal die Anleger darüber informiert, dass die eigene Prognose voraussichtlich übertroffen wird – derartige sogenannte Gewinn- oder Umsatzerwartungen bezogen sich allerdings zumeist auf die Vor-Corona-Zeit und zeigten einen Geschäftsverlauf im vergangenen Jahr an, der besser als erwartet verlief. Dass Unternehmen aufgrund der Pandemie höhere Umsätze oder Gewinne als ursprünglich angenommen einfahren, sei hingegen die absolute Ausnahme, betont Knarse. „Wir werden in den kommenden Wochen und Monaten nur wenige positive Überraschungen sehen. Im besten Fall können Unternehmen ihre Produktion umstellen und ihre Produktpalette um derzeit nachgefragte Güter erweitern. Krisenprofiteure gibt es allerdings kaum.“

An den Märkten herrscht gefährliche Gelassenheit

Investoren ließen sich von den Gewinnwarnungen in den meisten Fällen kaum überraschen. Zumindest hielten sich die Auswirkungen auf die Aktienkurse insgesamt in Grenzen: Am Tag der Veröffentlichung sank der Aktienkurs der betroffenen Unternehmen durchschnittlich um drei Prozent – in einem insgesamt ohnehin schwachen Markt. Im vergangenen Jahr hatte das durchschnittliche Minus am Tag einer Gewinnwarnung noch bei sieben Prozent gelegen. „In einem hochgradig volatilen Kapitalmarkt, der global von COVID 19 betroffen ist, traten zuletzt unternehmensindividuelle Nachrichten etwas in den Hintergrund“, erklärt Dr. Martin Steinbach, Partner und Leiter des Bereichs IPO and Listing Services bei EY. „Es ist ohnehin jedem Investor klar, dass sich kaum ein Unternehmen dieser beispiellosen Krise entziehen kann. Starke Auswirkungen auf Aktienkurse hatten hingegen Themen wie staatliche Hilfspakete, die Ölpreisentwicklung oder auch Hoffnung auf Impfstoffe.“ Ein größeres Gewicht als die Gewinnentwicklung der Unternehmen habe ohnehin inzwischen das Thema Liquidität bekommen, sagt Knarse: „Derzeit geht es in erster Linie darum, die Mitarbeiter zu schützen, die finanzielle Stabilität und Nachhaltigkeit des Unternehmens zu sichern und den operativen Fortbestand zu gewährleisten.“ Aber auch an die Zukunft sollte gedacht werden, mahnt Knarse: „Die Unternehmen stehen vor der Herausforderung, trotz der zum Teil existenzbedrohenden Krisensituation daran zu arbeiten, widerstandsfähiger und anpassungsfähiger zu werden, etwa durch eine stärkere Digitalisierung, die Flexibilisierung von Kostenstrukturen, besseren digitalen Kundenzugang und robustere Supply Chains. Es wird eine Zeit nach dieser Krise geben – und wer dann lieferfähig ist und ein attraktives Produktangebot bieten kann, wird zu den Gewinnern des anschließenden Aufschwungs gehören.“ Deutsche Unternehmen bereits 2019 mir 171 Gewinn- oder Umsatzwarnungen Da passt es überhaupt nicht gut ins Bild, dass deutsche Unternehmen bereits 2019 so viele Gewinnwarnungen abgegeben hatten, wie nie zuvor. Von Corona redete da noch niemand. Insgesamt veröffentlichten die 306 im Prime Standard gelisteten Unternehmen 171 Gewinn- oder Umsatzwarnungen – ein Anstieg um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Nur im DAX ging die Zahl der Warnungen zurück: von 16 auf 11. In den übrigen Indizes wurde hingegen deutlich häufiger vor schlechten Zahlen gewarnt als im Vorjahr.

Erstmals seit dem Jahr 2014 lag die Zahl der Unternehmen, die ihre eigenen Ziele verfehlten, zudem höher als die Zahl derer, die sich besser als angekündigt entwickelten: Insgesamt 125 positive Gewinn- oder Umsatzerwartungen wurden veröffentlicht – weniger als im Vorjahr, als noch 137 Mal die Prognosen nach oben korrigiert wurden. „2019 war ein sehr schwieriges Jahr für viele deutsche Unternehmen. Die Aussichten waren zwar ohnehin nicht übermäßig positiv – tatsächlich entwickelten sich die Geschäfte aber vielfach noch schlechter als erwartet“, so Steinbach.

Die meisten Warnungen kamen im vergangenen Jahr aus der Automobilbranche: Zehn der zwölf börsennotierten Autokonzerne beziehungsweise -zulieferer mussten ihre Prognosen nach unten korrigieren. Und auch jedes zweite Chemieunternehmen korrigierte seine Erwartungen nach unten.

Es dürfte nun also wirklich dringend neue Pläne brauchen. Sonst könnte es auch an der Börse schnell vorbei sein mit der Erholung, die angesichts dieser Negativrekorde einmal mehr auf sehr wackligen Beinen zu stehen scheint. Auch, da die die Zahl der zurückgenommenen Prognosen im zweiten Quartal noch weiter ansteigen dürfte.


Hier sehen Sie die aktuelle Verbreitung des Coronavirus/COVID-19

https://interaktiv.morgenpost.de/corona-virus-karte-infektionen-deutschland-weltweit/

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